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Aktuelle Rechtsprechung zum Gewerbemietrecht in der Covid-19-Pandemie
Posted on 29 October 2021 in News > Real Estate, Construction & Urban Planning

Auf Grundlage der großherzoglichen Verordnung vom 18. März 2020 und dem damit ausgerufenen Krisenzustand im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie, ergingen in vielen Bereichen des Wirtschaftslebens behördlich angeordnete Betriebsschließungen und – einschränkungen. Diese haben in der Folge zu einer rechtlichen Diskussion über die Einklagbarkeit der Gewerbemieten in dem von der Schließung oder Beschränkung betroffenen Zeitraum geführt[1]:

Es stellte sich insbesondere die Frage, ob für den Zeitraum behördlich angeordneter Betriebsschließungen und – einschränkungen dennoch der zuvor vereinbarte Mietzins in voller Höhe zu zahlen sei. Sollten Vermieter, die kein Verschulden für die Betriebsschließung und – einschränkungen trifft, ggf. durch etwaige Mietminderungen letztlich die Konsequenzen tragen müssen? Welche Regelungen sollen zur Anwendung gelangen, soweit es sich um Betriebsbeschränkungen handelt?

Neben einer Zusammenfassung der wichtigsten Fragestellungen auf dem Gebiet des Gewerbemietrechts in der Covid-19-Pandemie, befasst sich dieser Artikel zunächst mit einem der ersten von unserer Kanzlei in diesem Zusammenhang erwirkten Urteile vor dem Luxemburger Friedensgericht am 29. Juli 2020.

Mit Urteil vom 29. Juli 2020 verurteilte das Gericht den Mieter zur Zahlung des Mietzinses für den Zeitraum der behördlich angeordneten Schließung der Geschäftsräume vom 18. März 2020 bis zum 11. Mai 2020. Das Gericht vertrat in seinem Urteil die Auffassung, dass die staatlichen Maßnahmen für den Vermieter als Fall höherer Gewalt zu qualifizieren sei und ihn insoweit keine Verletzung der Pflicht zur Überlassung der Mietsache vorgeworfen werden könne. Diese Rechtsauffassung des Luxemburger Friedensgerichts wurde in einem weiteren Urteil vom 17. Dezember 2020 erneut bestätigt.

Ungeachtet mehrfacher gerichtlicher Entscheidungen desselben Gerichts zu diesem Thema, blieben zum einen eine Reihe von Fragen gänzlich unbeantwortet, zum anderen folgten nicht alle Urteile des Gerichts derselben rechtlichen Argumentation.

So gelangte das Gericht in seinen Urteilen vom 13. Januar 2021, vom 14. Januar 2021 sowie vom 21. Januar 2021 zu widersprüchlichen rechtlichen Schlussfolgerungen: Auf Grundlage von Artikel 1722 des luxemburgischen Code Civil (nachfolgend Code Civil)[2], der als Abwandlung der Risikotheorie zu qualifizieren sei, vertrat das Gericht die Auffassung, dass eine vollständige behördliche Schließung zu einem vorübergehenden Verlust des Mietobjekts führe, und der Mieter während dieser Zeiträume daher auch von der Zahlung der Miete befreit sei[3], dies selbst für den Fall, dass die gewerbliche Tätigkeit teilweise weiter ausgeübt werden konnte (z. B. durch „Click and Collect“-Verkäufe).

Im Rahmen dieser Entscheidungen wurde insbesondere festgestellt, dass nicht die Tätigkeit des Mieters als solche, sondern lediglich der Empfang des Publikums untersagt und somit das Gebäude selbst betroffen sei: Dies sei insoweit als Verlust der Mietsache zu qualifizieren.

In Bezug auf die betrieblichen Beschränkungen, welche die Geschäfte neben der gänzlichen Schließzeit betrafen, vertrat das Gericht jedoch die Auffassung, dass der Mietzins in vollem Umfang geschuldet blieb: Das Mietobjekt sei in diesem Fall nicht mehr von einer zwangsweisen Schließung betroffen, so dass die Mieter, ungeachtet des Ausmaßes der Beschränkungen, keine Nutzungseinbußen geltend machen können, dies jedenfalls solange die Öffnung möglich war.

Das Gericht wies auch Argumente bezüglich eines möglichen Rechtsmissbrauchs durch den Vermieter zurück, der weiterhin berechtigt blieb die Miete zu fordern. Die Berufung auf Gründe der Billigkeit und die finanzielle Situation der Mieter fand keine weitere Zustimmung bei den Richtern, welche die Ansicht vertraten, dass die wesentlichen Verpflichtungen der Parteien aus dem Mietvertrag nicht verletzt worden seien und dass der Umsatz ferner in keinem Zusammenhang mit der Miete stünde.

Diese gerichtlichen Entscheidungen wurden in den Medien weithin als wichtige Entscheidungen für die Rechte der Mieter dargestellt, wobei jedoch nicht berücksichtigt wurde, dass die Gerichte in all diesen Fällen zugleich auch die Kündigung der Mietverträge ausgesprochen hatten, da der jeweilige Zahlungsverzug der Mieter in diesen Fällen nicht lediglich auf die strengen Lockdown-Zeiträume begrenzt war.

Im Rahmen einer Gesamtschau schienen diese Urteile die Theorie des Risikos und des teilweisen Verlusts der Mietsache zu bestätigen. Da es sich hierbei jedoch allesamt um erstinstanzliche Entscheidungen handelte, blieb abzuwarten, ob hiergegen entsprechende Rechtsmittel eingelegt und eine entsprechende Änderung der Rechtsprechung erfolgen würde.

Im Rahmen darauffolgender Rechtsmittelverfahren sind in den letzten Monaten neue Rechtsauffassungen der luxemburgischen Richter vorgebracht worden, die sich häufig im Widerspruch zu den erstinstanzlichen Entscheidungen befanden.

So lehnten die Berufungsrichter in einer ersten dieser Entscheidungen, vom 30. März 2021[4] und welche einen Gastronomiebetrieb betraf, eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung des Mietzinses auf Grundlage eines teilweisen Verlustes der Mietsache ab. Sie vertraten die Rechtsauffassung, dass für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Entziehung im Sinne von Artikel 1722 Code Civil, die Sache selbst betroffen sein muss. Ihrer Ansicht nach richteten sich die behördlich angeordneten Verbote bzw. Teilschließungen jedoch nur gegen Aktivitäten, die die Verbreitung von Covid-19 begünstigen könnten: Sie betrafen also lediglich die Betriebsnutzung, und nicht das Gebäude als solches. Die Richter wiesen auch darauf hin, dass der Mieter das Gebäude weiterhin zu Lagerzwecken nutzen und einen Takeaway-Service hätte einrichten können.

Dieser Grundsatz wurde anschließend in einer zweiten Entscheidung vom 11. Mai 2021[5] bestätigt. Die Berufungsrichter wandten insoweit übereinstimmend einen strengen Maßstab an. Es war hiernach davon auszugehen, dass Mieter auf Grundlage dieser Rechtsprechung künftig zur Zahlung der vollen Miete verurteilt werden würden, da das von den Richtern der ersten Instanz angeführte rechtliche Konzept für das Freiwerden von der Zahlungspflicht des Mietzinses verworfen wurde.

In mehreren zeitlich darauffolgenden Entscheidungen vom 28. Juni 2021[6] und vom 12. Juli 2021[7] entwickelte das Bezirksgericht jedoch wieder einen neuen rechtlichen Standpunkt:

Die Berufungsrichter entschieden, dass der Mieter nicht in vollem Umfang von seiner Zahlungspflicht befreit oder zur Zahlung des Mietzinses verurteilt wird, sondern dass der Mietzins entsprechend des Ausmaßes der Einschränkungen, denen die Mieter ausgesetzt sind, angepasst werden muss. Im Einzelnen wurde festgestellt, dass der Mietzins während des Zeitraums der vollständigen Schließung in Höhe von 50 Prozent und im Zeitraum teilweiser Beschränkung in Höhe von 65 bis 85 Prozent zu zahlen seien, je nach Intensität der konkreten Beschränkungen.

Auf welcher Rechtsgrundlage sind die Richter nunmehr zu diesen – auf den ersten Blick – überraschenden Schlussfolgerungen gekommen?

Ungeachtet der unterschiedlichen Rechtsfolgen, folgen die verschiedenen Urteile der luxemburgischen Gerichte derselben rechtlichen Argumentation[8]:

Bei näherer rechtlicher Betrachtung wird deutlich, dass die Gerichte, wie schon im März 2021 und Mai 2021, einen Verlust im Sinne von Artikel 1722 Code Civil ablehnen und daran erinnern, dass die angeordneten Verbote nur den Betrieb und nicht das Gebäude als solches betreffen. Sie haben daher keine Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis zwischen einem Mieter und einem Vermieter.

Die Mieter hatten im Rahmen des Rechtsstreits jedoch andere Argumente vorgebracht, um eine Befreiung von der Zahlungspflicht zu erhalten. Sie machten insbesondere geltend, dass die Immobilie nicht zum bestimmten Zweck nutzbar sei und ein Nutzungsausfall vorliege, und verwiesen auf die Verpflichtungen des Vermieters, die Immobilie zu übergeben, die Nutzung zu gewährleisten und für etwaige Mängel einzustehen (Artikel 1719 bis 1721 Code Civil). Die Berufungsrichter wiesen das Argument erwartungsgemäß zurück, da sie der Ansicht waren, dass ein etwaiger Nutzungsausfall nicht auf das Verschulden des Vermieters zurückzuführen sei und dass der Mieter in jedem Fall den ausschließlichen Zugang zu den Räumlichkeiten behalte.

Die Mieter beriefen sich daraufhin auf die Rechtsstörung, um von der Pflicht zur Zahlung des Mietzinses frei zu werden. Dies mit der Begründung, dass der Vermieter in Anwendung von Artikel 1725 Code Civil den Mieter gegen jede Forderung eines Dritten auf das Mietobjekt absichern muss: Auch hier wird es nicht überraschen, dass die Richter dieses Argument zurückwiesen und feststellten, dass die sanitären Maßnahmen nicht als Forderung des Staates oder eines anderen Dritten mit unmittelbarem Bezug zum Mietobjekt qualifiziert werden können.

Ein anderer Gesichtspunkt ist die Theorie der Unvorhersehbarkeit, die es ermöglicht, einen Vertrag im Falle einer erheblichen Änderung, der dem Vertrag zugrundeliegenden Tatsachen und Umstände, die die ursprüngliche geplante Ausführung unmöglich machen, anzupassen.

Die Richter des Berufungsgerichts stellten darüber hinaus fest, dass diese Theorie im Gegensatz zum französischen Recht nicht im luxemburgischen Recht vorgesehen sei. Es sei nicht geklärt, ob die Theorie der Unvorhersehbarkeit auch in Luxemburg Anwendung finde. Ohne zu dieser rechtlichen Problematik Stellung zu nehmen, stellte das Gericht fest, dass die Mieter jedenfalls “keine endgültige Änderung der Umstände nachweisen, die die Erfüllung des Vertrages während des Zeitraums der vollständigen Schließung bzw. während der dazwischen liegenden Zeiträume übermäßig beschwerlich gemacht hätte”, und wies darauf hin, dass die Maßnahmen grundsätzlich vorübergehend waren.

Die rechtliche Schlussfolgerung scheint insoweit klar: Mieter können sich nicht auf unvorhergesehene Umstände berufen, um sich von der Pflicht zur Zahlung des Mietzinses zu befreien. Eine Annahme, die jedoch relativiert werden muss.

Denn, das letzte Argument der Mieter, nämlich die Erfüllung der Verträge entsprechend der Grundsätze von Treu und Glauben, konnte die Richter schlussendlich überzeugen, und zwar in einer Weise, die stark auf eine „indirekte” Anwendung der Theorie der Unvorhersehbarkeit hindeutet.

Die Mieter argumentierten, dass das Bestreben des Vermieters, die vollständige Zahlung der Miete zu erhalten, ohne die mit den sanitären Einschränkungen einhergehenden Schwierigkeiten zu berücksichtigen, rechtsmissbräuchlich sei und „über das Nützliche und Notwendige” hinausgehe, und dass in Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben „die Möglichkeit bestehen müsse, die Vertragsbedingungen im Falle einer außergewöhnlichen Änderung der Umstände zu ändern”. Mit anderen Worten wurde versucht, die Theorie der Unvorhersehbarkeit durch die Hintertür wieder einzuführen.

Das Gericht hatte diese Theorie zwar zurückgewiesen, da er der Ansicht war, dass die Voraussetzungen für eine Vertragsänderung nicht erfüllt waren, doch hat er sich anschließend damit einverstanden erklärt, den Vertrag auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben bei seiner Erfüllung erheblich anzupassen und die geschuldeten Beträge je nach Schwere der Einschränkungen zu modulieren.

Nach Ansicht der Richter bedeutet der Grundsatz von Treu und Glauben, dass eine Partei bei der Vertragserfüllung jede Handlung zu unterlassen hat, die ihren Vertragspartner absichtlich benachteiligt. Dies impliziert also eine Solidaritäts- und Loyalitätspflicht gegenüber der anderen Partei, die so weit gehend ist, dass „der Gläubiger zur Mäßigung verpflichtet ist, wenn er die Achtung seiner Rechte verlangt[9].

Die Richter beriefen sich auf eine Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs9, wonach „eine Partei, die sich beharrlich weigert, einen aus dem Gleichgewicht geratenen Vertrag zu revidieren, gegen ihre Pflicht zur Einhaltung der Grundsätze von Treu und Glauben bei der Erfüllung des Vertrages verstößt“.

Um zu prüfen, ob die Verpflichtung eingehalten wurde, muss nach Ansicht der Luxemburger Richter das Verhalten beider Parteien im Verhältnis zueinander beurteilt werden. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass in den zu dieser Thematik ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, die verschiedenen Vermieter nicht den Grundsätzen von Treu und Glauben entsprechend gehandelt haben, wohingegen die Mieter ihrerseits versucht hatten, ihren Zahlungspflichten nachzukommen, ihre Vermieter über ihre Situation zu informieren und sich um einvernehmliche Lösungen zu bemühen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass ein Mieter, der alle Zahlungen eingestellt hätte, ohne zudem versucht zu haben mit dem Vermieter eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, nicht von derselben Entscheidung und den damit verbundenen rechtlichen Erwägungen des Gerichts profitiert hätte.

Es sei zudem darauf hingewiesen, dass das Verhalten der Vermieter, in den unterschiedlichen Rechtssachen stark variierte: Hierzu zählten ein Vermieter, der sich weigerte zu verhandeln[10], ein Vermieter, der sich zu Gesprächen bereit erklärte, diese aber mit der Begründung abbrach, die Vorschläge des Mieters seien „beleidigend”[11], bis hin zu einem Vermieter, der vergebens versuchte, sich mit seinem Mieter zu einigen[12]. Im letztgenannten Fall war das Scheitern der Verhandlungen nicht direkt auf den Vermieter zurückzuführen, sondern darauf, dass der Hauptvermieter weiterhin den Mietzins einforderte (es handelte sich um einen Fall der Untervermietung). Die rechtlichen Anforderungen  an die Vermieter sind daher streng, so dass es nicht lediglich ausreicht  einer Verhandlung zuzustimmen, um im Falle eines Scheiterns den vollen Mietzins einfordern zu können.

In allen Fällen wurde der Umstand, dass nach dem Scheitern der Verhandlungen der Mietzins in voller Höhe gefordert wurde, als rechtsmissbräuchlich angesehen. Die Richter vertraten die Auffassung, dass unter den gegebenen Umständen „der Grundsatz der Vertragserfüllung nach Treu und Glauben den Vermieter dazu veranlassen muss, einer Mietminderung zuzustimmen, damit die schädlichen Folgen der Ausnahmesituation nicht allein von einer der Vertragsparteien getragen werden”. Es handelt sich demnach um eine indirekte Anwendung der Theorie der Unvorhersehbarkeit, die zuvor von den Gerichten abgelehnt wurde.

Eine Verhandlung kann dann etwas unausgewogen erscheinen, wenn sie zwangsläufig zu einer Mietminderung führt,  welche von den Richtern einzig als Lösung angeführt wird, da andere Alternativen, wie z.B. eine Stundung scheinbar nicht in Betracht gezogen worden sind .

Die Entscheidungen fallen jedoch nicht ausschließlich zu Gunsten der Mieter aus. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mieter zumindest teilweise von der Nutzung der Räumlichkeiten sowie von staatlichen Beihilfen profitieren konnten, stellten die Richter fest, dass sie nicht vollständig von den jeweiligen Zahlungspflichten freigestellt werden können: Eine solche Freistellung liefe ansonsten darauf hinaus, dass der Vermieter allein die Folgen der Situation zu tragen hätte.

So haben die Richter, wie bereits erwähnt, die Miete je nach Intensität der Beschränkungen und ihrer Auswirkungen auf das Unternehmen um 50 Prozent für Zeiten der vollständigen Schließung und zwischen 15 Prozent und 35 Prozent für andere Zeiten gekürzt.

Welche Schlussfolgerungen sollten wir aus diesen Entscheidungen ziehen? Die in Rede stehenden Entscheidungen bieten den Parteien einen deutlichen Anreiz zu verhandeln, beschränken dabei jedoch das Ergebnis der Verhandlungen auf eine Minderung der Miete, die je nach den Umständen und der Schwere der Beschränkungen mehr oder weniger stark ausfallen kann. Andere Lösungsansätze, wie z.B. eine Stundung des Mietzinses oder eine Teilzahlung des Mietzinses sind von den Richtern offenbar nicht in Betracht gezogen worden.

Es ist jedoch nicht mit abschließender Gewissheit davon auszugehen, dass diese Entscheidungen in der Rechtsprechung richtungweisend sein werden. Auch wenn wir die Erwägungen der Richter bezüglich des Gleichgewichts des Vertrages und überdies auch die rechtlichen Ausführungen über die Einmaligkeit und die sehr außergewöhnlichen Umstände  der Krise teilen und insoweit auch meinen, dass diese berücksichtigt werden müssen, wundern wir uns dennoch über diese umständliche Anwendung der Theorie der Unvorhersehbarkeit, die kurz zuvor noch abgelehnt wurde: Unserer Meinung nach wäre es kohärenter gewesen, die Anwendbarkeit dieser Theorie, die bereits in einigen Luxemburger Entscheidungen, auch im Zusammenhang mit einem möglichen Rechtsmissbrauch[13], erwähnt wurde, dezidiert zu bejahen und diese insoweit direkt zu verankern.

Man kann auch die vom Bezirksgericht angeführte Rechtsgrundlage in Frage stellen, nämlich das Urteil des französischen Kassationsgerichtshofs vom 3. November 1992, aus dem die Richter ableiten, „dass eine Partei, die sich beharrlich weigert, einen aus dem Gleichgewicht geratenen Vertrag zu revidieren, gegen ihre Pflicht von Treu und Glauben bei der Vertragserfüllung verstößt“.

Diese Parallele erscheint uns diskussionswürdig, denn in dem vom französischen Kassationsgerichtshof entschiedenen Fall war die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht auf ein äußeres Ereignis zurückzuführen, sondern auf Umstände, die in der Person einer der Vertragsparteien lagen, dessen Geschäftspraktiken gegenüber Dritten die andere Vertragspartei daran hinderte, wettbewerbsfähige Preise zu verlangen.

Darüber hinaus hat der französische Kassationsgerichtshof auch keine Befugnis des Richters zur – auch nur vorübergehenden – Änderung des Vertrags festgestellt, sondern lediglich eine Verpflichtung der Parteien, den Vertrag neu zu verhandeln.

In diesem Fall geht das Bezirksgericht weiter und ändert den Vertrag selbst aufgrund außergewöhnlicher Umstände, die durch ein äußeres Ereignis verursacht wurden, was den Grundsätzen der Theorie der Unvorhersehbarkeit sehr nahe kommt.

Abgesehen vom Bedürfnis einer juristisch kohärenten Argumentation, stellt sich auch die Frage nach der Praxistauglichkeit dieser Entscheidungen, dessen jeweiliges Ergebnis aufgrund vorheriger divergierender Entscheidungen für die Parteien gegenwärtig nur schwer vorhersehbar sind, insbesondere im Hinblick auf den Umfang der Mietminderung in Abhängigkeit von der Intensität der Einschränkungen: Wie erfolgt die Berechnung der vorzunehmenden Mietminderung im konkreten Fall? Das Gericht macht hierzu keine ausdrücklichen Angaben, sondern beschränkt sich im Rahmen seiner Entscheidung lediglich auf den Hinweis, dass die Mietminderung vom Ausmaß der in Rede stehenden Beschränkung auf die konkrete Tätigkeit und der damit einhergehenden Beeinträchtigungen abhängt.

Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Kassationsgerichtshof dieser Rechtsprechung im Wege eines zukünftigen Urteils Einhalt gebieten wird, es sei denn, er würde die Umstände nutzen, um die Theorie der Unvorhersehbarkeit nunmehr ausdrücklich in seiner Entscheidung zu verankern.

Aufgrund der bisher divergierenden Rechtsprechung auf dem Gebiet des Gewerbemietrechts, erscheint ein richtungsweisendes und klares höchstinstanzliches Urteil unverzichtbar. Die rechtliche Kontroverse hierüber dürfte bis dahin noch lange nicht zu Ende sein – in der Zwischenzeit gibt es für Vermieter und Mieter nur ein Schlüsselwort: Verhandlung (und/oder Mediation)!


[1] Die meisten Aktivitäten, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, wurden vom 18. März 2020 bis einschließlich 11. Mai 2020 verboten, gemäß großherzoglicher Verordnung vom 6. Mai 2020 zur Änderung einer früheren Verordnung vom 18. März 2020. In der Folge ordnete Artikel 2 des Gesetzes vom 25. November 2020 die Schließung von Gastronomiebetrieben für die Öffentlichkeit bis zum 6. April 2021 an.

[2]Freie Übersetzung von Art. 1722 Code Civil: „Wird die Mietsache während der Laufzeit des Mietvertrages durch höhere Gewalt vollständig zerstört, so endet der Mietvertrag von Rechts wegen; wird sie nur teilweise zerstört, so kann der Mieter je nach den Umständen des Einzelfalls entweder eine Minderung des Mietzinses oder die Beendigung des Mietvertrages selbst verlangen. In beiden Fällen ist keine Entschädigung zu zahlen.“

[3] Vollständig in den Entscheidungen vom 14. Januar 2021 und vom 21. Januar 2021, nur zu 50 Prozent in der Entscheidung vom 13. Januar 2021, wobei der Mieter in diesem Fall jedoch keine vollständige Freistellung von der Pflicht zur Zahlung des Mietzinses beantragt hatte.

[4] TAL, 30. März 2021 n° TAL-2020-09641

[5] TAL, 11. Mai 2021 n° TAL-2020-003621

[6] TAL, 28. Juni 2021 n° TAL-2021-02457 und TAL-2021-02480 ; TAL, 28. Juni 2021 n° TAL-2021-00994

[7] TAL, 12. Juli 2021 n° TAL-2021-02935 und TAL-2021-03029 ; TAL, 12.Juli 2021 n° TAL-2021-04656

[8] Mit Ausnahme der Entscheidung vom 28. Juli 2021 Nr. TAL-2021-04656, in der sich der Mieter jedoch nur auf die Unvereinbarkeit mit dem Verwendungszweck und auf höhere Gewalt berufen hatte, ohne andere Gründe anzuführen, was die Lösung nicht grundsätzlich in Frage stellt, kann geschlussfolgert werden, dass der Richter nicht von Amts wegen einen Grund anführen wird, der es dem Mieter erlaubt, von der Zahlung befreit zu werden.

[9] Fr. Cass. com., 3.November 1992, Bull. 92, IV, n° 338

[10] Urteil n° TAL-2021-00994 des 28. Juni 2021

[11] Urteil n° TAL-2021-02935 und TAL-2021-03029 des 12. Juli 2021

[12] Urteile n° TAL-2021-02457 und TAL-2021-02480 des 28. Juni 2021

[13] Siehe hierzu Kassationsgerichtshof, Urteil vom 23. Dezember 1930, Pas. T. 12 (1930-1932); siehe in diesem Sinne auch Kassationsgerichtshof, Urteil vom 24. Oktober 2013, Pas. T. 36 (2013-2014), in der die Unvorhersehbarkeit nicht grundsätzlich abgelehnt wurde, sondern weil die Veränderungen, die sich auf die Situation der Parteien auswirkten, vorhersehbar waren.

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